Nach unserer inzwischen 5. sehr erholsamen Winterauszeit auf Norderney waren noch 4 Urlaubstage übrig und so sind wir ganz spontan nach 4 Jahren wieder in unser geliebtes Paris gefahren, das uns mit herrlichem vorfrühlingshaften Sonnenwetter empfangen hat. Von unserem Hotel nahe der Bastille im 11. Arrondissement haben wir in drei sehr unterschiedlichen Tagesspaziergängen unter anderem einige uns bis dahin unbekannte Kirchen besucht.

Abseits der bekannten und viel besuchten großen Kirchen wie Saint Sulpice oder La Madeleine haben wir so Kirchen kennengelernt, die in der Zeit zwischen dem 16. Jahrhundert und dem 21. Jahrhundert gebaut wurden.

Am Rande sei hier erwähnt, dass eine bedeutende Verbindung zwischen den mittelalterlichen Städten Köln und Paris der gelehrte Dominikaner Albertus Magnus ist, der seine Theologiestudien in Köln begann und in Paris ab 1243 fortsetzte in der damals bedeutendsten theologischen Universität.

Unser erster Spaziergang am Freitagnachmittag war im 13. Arrondissement, der „Butte aux Cailles“, ein altes dörfliches Stadtviertel auf dem „Wachtelberg“ mit der Kirche St. Anne de la Butte aux Cailles.

Am Samstag haben wir neben dem Musée Guimet (ostasiatische Kunst) im 7. Arrondissement die neugebaute russisch-orthodoxe Kathedrale besucht. In Saint Jaques du Haut Pas (5. Arr) haben wir am Sonntagmorgen die Messe mitgefeiert. Danach haben wir entlang der Metro 6 zwischen den Stationen Nation und Charles de Gaules Étoile spannende Entdeckungen gemacht.

 

Zur Betrachtung

(24 Minuten)

 

Weitere Beschreibung

Die Kirche St. Anne de la Butte aux Cailles an der Rue Tolbiac im 13. Arrondissement ist ein romanisch-byzantinischer Kirchenbau, der in den 1890er Jahren gebaut wurde, als die Vorgängerkapelle wegen des sich sprunghaft ausdehnenden Wohnviertels zu klein wurde. Der Bau der  Fassade wurde durch Mittel des Schokoladenfabrikanten Lombard ermöglicht, weswegen sie auch „Façade chocolat“ genannt wird. Turm und Glocken wurden zur Weltausstellung von 1900 fertig gestellt. Besonders berührt haben uns die die kunstvoll kolorierten Fenster des Glaskünstlers Mauméjean aus den 1930er Jahren. Im Chorraum sind dominiert von leuchtenden Blautönen die Geheimnisse des Rosenkranzes dargestellt, in der Seitenkapelle Sainte Anne Stationen aus dem Leben der Heiligen Anna. Angestrahlt von der nachmittäglichen Sonne waren wir ganz gefangen von den schönen leuchtenden Farben der Fenster und den bunten Sonnenmalereien auf den Säulen und Gewölben. Die Kirche hat uns eingeladen, mitten in der Großstadt einen Moment der Ruhe und Besinnung zu verbringen.

Am Samstag haben wir mit der russisch-orthodoxen Dreifaltigkeitskathedrale (7. Arr.) am Quai Branly die neuste Kirche von Paris besucht, die Einweihung war im Oktober 2016. Nach unserer Erkundung des Musée Guimet mit seinen Schätzen aus Indien und Asien und einem Gang über den appetitlichen Wochenmarkt direkt gegenüber haben wir in der warmen Sonne an der Pont de l’Alma Kaffee getrunken. Von dort hatten wir eine erste Aussicht auf die in der Sonne glänzenden Zwiebeltürme der Kathedrale am gegenüberliegenden linken Seine-Ufer, überragt vom nahen Eiffelturm. Das Baugrundstück wurde vom russischen Staat gekauft, die dort errichtete Kathedrale samt Schule und Kulturzentrum wird von der russischen Botschaft gesteuert. Der französische Architekt Jean Michel Willmotte zeichnet für den Entwurf verantwortlich. Mit seinem modernen Gebäudekomplex hat er eine Verbindung zu bedeutenden Bauwerken in Paris geschaffen. Der für die Verkleidung genutzte aus dem Burgund stammende Stein findet sich unter anderem an der Pont d’Iena und dem Trocadéro. Der große und die vier kleinen Zwiebeltürme, die von jeweils von einem orthodoxes Kreuz gekrönt sind,  symbolisieren Christus und die vier Evangelisten. Der matte Goldglanz entsteht durch die Verbindung von Gold und Palladium und bildet so einen Gegensatz zum leuchtenden Gelbgold an der Pont d’Alexandre und dem Invalidendom. 90.000 Blätter 24 karätiges Blattgold wurden verarbeitet, das sind 800 Gramm. Zum Vergleich: Die große vergoldete Stupa in Myanmar hat 60 Tonnen Blattgold auf ihrer Oberfläche. Der Innenraum der Kathedrale wird dominiert von den Wandfresken der Ikonostase in milden Farbtönen. An den anderen Wänden laden verschiedene Ikonen mit der Möglichkeit, Kerzen zu opfern, zum Verweilen im Gebet.

Den Samstag beendet haben wir mit dem Besuch des wöchentlichen Orgelkonzerts in Notre Dame auf der Ile de La Cité. Die Kathedrale empfing uns mit ihrer wunderschön angestrahlten Fassade. Nach der in Paris allgegenwärtigen Sicherheitskontrolle am Eingang konnten wir im Mittelschiff Platz nehmen und die abendlich dezent ausgeleuchtete Kirche betrachten, ein besonderer spiritueller Ort. Dr. Carol Williams, Organistin an der United Methodist Church, Lynchburg, USA, spielte die Orgelsinfonie Nr.2 von Louis Vierne und die Uraufführung ihrer Komposition Hommage à Vierne. Ausschnitte aus der Vierne-Sinfonie  erklingen im Video. Die virtuos und gleichermaßen emotional gespielte Musik hat bei uns tiefen Eindruck hinterlassen. So beschenkt ging ein erfüllter Tag zu Ende.

Unseren Sonntag haben wir mit der Feier der Messe in St. Jaques-du-Haut-Pas (5. Arr.) begonnen, eine dreischiffige Kirche aus dem 17. Jahrhundert, deren Chor nach Westen zeigt. Besonders erwähnenswert die Chororgel von Aristide Cavaillé-Coll, die große Orgel in ihrer letzten Version von 1971 von Alfred Kern erbaut und eine Skulptur des heiligen Jakobus von 1988, aus einem Baumstamm geschnitzt. Wie die aktuelle Internetseite der Gemeinde es hoffen ließ, versammelte sich eine große und lebendige Gemeinde zum Gottesdienst. Der Kontakt zwischen Gläubigen und Priester war sehr herzlich, die Dienste am Altar wurden kompetent aber bescheiden verrichtet. Der Animatuer de chant hat uns mit seiner schönen Stimme und dem gut verständlichen Dirigat begeistert, der Organist hat inspiriert und inspirierend begleitet und improvisiert, der Zelebrant hat mit seiner Predigt die Botschaft von Jesus Christus in unsere Zeit geholt. Der Gottesdienst war – was er sein soll – ein zutiefst spirituelles Ereignis und die Feier der Gemeinschaft aller Christen.

Den weiteren Verlauf des Sonntags bestimmt hat nach einer Kaffeepause die Metro 6 zwischen den Stationen Nation und Charles de Gaules Étoiles. Die erste überraschende Entdeckung war die Église du Saint Esprit (12. Arr.) an der Avenue Daumesnil, fertiggestellt 1932. Wie viele Kirchen in Paris ist die Fassade zwischen Wohnhäusern eingeklemmt. Hat man die Stufen zum Portal erklommen und betritt die dunkle Kirche, eröffnet sich unvermutet ein weiter Raum, über den sich eine große von einer schmalen Reihe klarer Fenster umgebene Kuppel erhebt. Der Architekt Paul Tourmon hat mit seinem Entwurf Bezug genommen auf die Hagia Sofia in Istanbul und in Beton ein eindrucksvolles Kirchengebäude geschaffen. Berühmte Künstler der Zeit waren an der Innengestaltung beteiligt und haben so eines der bedeutendsten Bauwerke christlicher Kunst zwischen den Weltkriegen geschaffen. Auch hier ist es wieder neben dem Geist atmenden Raum der Eindruck einer lebendigen Gemeinde, von der an diesem ruhigen Sonntagnachmittag die dichtgestellten Kirchenstühle und liebevoll gestaltete Informationswände und Broschüren zeugen. Gestärkt setzen wir unsere Entdeckungsfahrt fort.

Von der Accor Arena im Stadtteil Bercy gehen wir über eine mutig geschwungene Fußgängerbrücke hinüber auf die linke Seine-Seite, wo das immer noch futuristisch anmutende Gebäudeensemble der französischen Nationalbibliothek liegt. Dahinter erstreckt sich ein großes Areal, das gerade neu erschlossen wird, einige Wohnblocks und Straßen sind fertiggestellt, ein großer Teil des Geländes ist aktuell im Bau. Hier führt Peter uns zur kleinen Chapelle Notre Dame de la Sagesse (Unsere liebe Frau von der Weisheit) im 13. Arrondissement. Der kleine rote Klinkerbau liegt ganz natürlich zwischen neugebauten Häusern, die ihn um einige Stockwerke überragen. Der Architekt hat mit seinem vor wenigen Jahren fertiggestellten Gebäude eine Reminiszenz an Notre Dame du Haut von Corbusier in Ronchamp geschaffen. Die Kapelle ist ein Zeichen transzendentaler Öffnung. In einem Gemeindebrief schreibt der Pfarrer, die Kirche möge ein Hafen des Friedens und eine Stätte der Begegnung sein, eine Quelle der Menschlichkeit und der Spiritualität. Das Motto stammt aus dem 50. Psalm: „Dans le secret tu m’apprends la sagesse“ – „Im Verborgenen lehrst Du mich deine Weisheit“. Drei seitliche Altäre bilden den Taufritus ab, das Übergießen mit geweihtem Wasser, die Salbung mit heiligem Öl, das Entzünden der Taufkerze am österlichen Licht und das Anlegen des weißen Gewandes als Zeichen für Christus. In diesem schlichten Raum fühlt man sich aufgehoben in göttlicher Liebe, darf man sich verwandeln lassen.

An der Place Jeanne-d’Arc schließlich haben wir Notre Dame de la Gare besucht, die sich in einer Sichtachse mit dem Pantheon auf dem gegenüberliegenden Hügel befindet. Der neoromanische Bau stammt aus den 1850er Jahren, als das 13. Arrondissement zu den am stärksten industrialisierten Stadtvierteln von Paris gehörte. Erwähnenswert sind die Wandgemälde im Chorraum von Félix Jobbé-Duval und Anders Osterlind. Die vielen brennenden Kerzen an der Pieta zeugen von den Menschen, die täglich diese Kirche besuchen, und dem, was sie in ihrem Leben bewegt.

Die letzte Kirche des Tages liegt am Touristenhotspot Rue Mouffetard im 5. Arrondissement, Saint Médard. Der spätgotische Kirchenbau aus dem 15./16. Jahrhundert befindet sich an der alten Römerstraße von Lyon nach Lutetia. Die Kirche ist dem hl. Medardus († 545), dem Bischof von Noyon und späteren Bischof von Tournai geweiht. Der Innenraum ist in drei Schiffe und fünf Joche gegliedert. Die ersten drei Joche stammen − wie das große Fassadenfenster im Flamboyant-Stil − aus der ersten Bauphase. Das vierte und fünfte Joch und der Chor gehen auf die 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts zurück, der Chorrundgang und das Gewölbe des Chores auf das frühe 17. Jahrhundert. Vom Innenraum der Kirche geht eine große Ruhe aus. Das schmale, schlichte langestreckte goldene Kreuz im Altarraum strahlt eine große Kraft aus, die anziehend auf uns wirkt. Gemälde und Altarbilder laden zum Betrachten ein. Vielleicht haben wir bei unserem nächsten Parisbesuch die Gelegenheit, die Cliquot-Orgel aus dem 18. Jahrhundert zu hören. Dankbar für die schönen und unerwarteten Entdeckungen beschließen wir hier unseren Tag.

Merci Paris! À la prochaine!

 

Beate Schweer  Fotos und Text 

         Peter Hetzel     Fotos und Gestaltung

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